Wärmeplanung und energetisch-ökologische Transformation im ländlichen Raum

Die Kommunale Wärmeplanung sorgt gerade im ländlichen Raum für Skepsis – oft wird befürchtet, dass sie zum Papiertiger wird. Doch sie bietet viele wenig wahrgenommene klare Vorteile: Sie schafft Transparenz, zeigt Potenziale auf und eröffnet Kommunen wie Bürger:innen Chancen für eine langfristig sichere, bezahlbare und klimafreundliche Wärmeversorgung – auch dort, wo nur wenige Wärmenetze entstehen. So auch bei den privaten Einzelgebäuden, für die individuelle Eigenversorgung oder kleine Kooperationen: Netzstrukturen beginnen schon bei zwei Gebäuden.
warum die KWP im ländlichen Raum anders ist
Gerade im ländlichen Raum wird schnell deutlich: Die kommunale Wärmeplanung ist eine Pflichtaufgabe mit besonderen Herausforderungen. Anders als in größeren Städten fehlen hier häufig die Voraussetzungen für großflächige Wärmenetze. Die Siedlungsstruktur ist kleinteilig, die Wege / Abnehmerabstände sind weit, die Verwaltungskapazitäten sind begrenzt. Viele Gemeinden arbeiten ehrenamtlich oder mit knappen Personalressourcen – zusätzliche Planungsaufgaben stoßen hier schnell an Grenzen. Auch die finanziellen Spielräume sind enger, Förderprogramme unübersichtlicher und die Sorge groß, dass am Ende Pläne entstehen, die nicht in konkrete Maßnahmen münden. Und schließlich ist das Misstrauen gegenüber „Gesetzen aus Berlin“ groß: An eine Umsetzung der KWP wird oft nicht geglaubt.
Gleichzeitig können wir mit den Chancen argumentieren. Die Wärmeplanung eröffnet erstmals einen systematischen Überblick: Sie macht sichtbar, wo energetische Schwachstellen liegen, welche Gebäude oder Quartiere von gemeinschaftlichen Lösungen profitieren könnten und wo lokale erneuerbare Ressourcen erschlossen werden können. Für Bürgermeister:innen, Gemeinderäte und Bürger:innen wird damit ein Orientierungsrahmen geschaffen, der Investitionen bündeln und Fördermittel nutzbar machen kann sowie Beteiligung ermöglicht. Im besten Fall wird aus der KWP ein Zukunftsbild, das Klarheit und Sicherheit vermittelt. Aber dies eben vordergründig nur für das „Teilgebiet Wärme“, das für viele Menschen auf dem Lande nicht das wichtigste Problem ist.
Quartier = Dorf: die wirksamste Skalierung
Im ländlichen Raum ist das Quartier faktisch das Dorf. Hier sind die Alltagswege kurz, die Akteure kennen sich, Eigentums- und Entscheidungsstrukturen sind überschaubar. Genau an diesem Maßstab werden Fragen von Mobilität, Daseinsvorsorge, Strom, Wärme, Wasser, Klimaschutz und Boden gemeinsam verhandelt – und genau hier kann echte Beteiligung gelingen.
Als überschaubarer Ort sozialen Zusammenhalts, gewachsener Identität und grundlegender Infra-struktur bietet das Dorf hervorragende Voraus-setzungen für eine lokale Transformation mit dem Ziel hoher Selbstversorgungsgrade, würde es besser von der übergeordneten Verwaltungsstruktur bzw. der Politik unterstützt und begleitet. Es wird oft verkannt, dass Gemeinden < 10.000 Einwohner nach ihrer Anzahl 95 % der thüringischen Siedlungen ausmachen (Gemeinden < 5.000 Einwohner immer noch 84 %, < 3.000 EW 78 %).
Die Kommunale Wärmeplanung liefert dabei zunächst die notwendigen Daten und Leitplanken zum Thema „Energie im Bestand“. Auf Dorfebene werden diese Informationen jedoch nicht abstrakt behandelt, sondern könnten in konkrete, umsetzbare Maßnahmenbündel auf einer erweiterten Ebene übersetzt werden – sei es die Weiterentwicklung der Ortsmitte, die energetische Versorgung eines Schulcampus oder die Transformation eines Gewerbestandorts. Wichtig ist dabei, dass der Einstieg nicht in langen Perfektionsdebatten versandet, sondern durch sichtbare erste Schritte gelingt. Eine Abwärmelösung im Gewerbe, ein kleines Nahwärme-Cluster, eine Heizzentrale für kommunale Liegenschaften oder eine Dach-PV-Offensive können Vertrauen schaffen und weitere Investitionen nachziehen.
Tatsächlich hatte sich in den letzten Jahren das geförderte Quartierskonzept (KfW 432) zu einem beliebten Transformationshebel für ländliche Gemeinden / Dörfer entwickelt. Der Grund: Es gibt keine vergleichbaren systemischen Transformationsansätze für diese kleinste gemeinschaftlich strukturierte Einheit im ländlichen Raum. Das Gefühl des Alleingelassenseins angesichts der Folgen des Klimawandels, eingeschränkter ÖPNV-Anbindung und vielfach ehrenamtlich organisierter Verwaltung hat in vielen ländlichen Regionen das Empfinden des „Abgehängtseins“ verstärkt – mit entsprechenden politischen Wahlaussagen der Bevölkerung. Integrierte Quartierskonzepte boten hier eine große Chance, lokale Prozesse anzustoßen und dabei Empowerment und Teilhabe gezielt zu fördern.
Ende 2023 wurde durch den Bund die Förderung „Energetische Stadtsanierung – Zuschuss 432“ abrupt eingestellt. In den aktuellen Haushaltsentwurf der Bundesregierung ist sie wieder aufgenommen worden; viele vormals enttäuschte Gemeinden hoffen, ihren eingeschlagenen Weg fortsetzen zu können.
Vom „Mitgenommen-werden“
Von den Podien bei Veranstaltungen zur Energiewende hört man oft, dass „die Menschen mitgenom-men werden müssen“. Eine typische Redensart aus dem Lager der Energiewende-Theoretiker, der Technokraten oder der Innovationsverfechter, die zuvorderst die technische Lösung sehen und dabei verkennen, dass die Transformation in einem soziotechnischen System stattfindet.
Gerade im ländlichen Raum stoßen bei den „Mitzunehmenden“ solche Formulierungen zunehmend auf Skepsis und Ablehnung. Viele empfinden das Ansinnen eines „Mitgenommen-Werdens“ als herab-lassend oder bevormundend. Bevor man also versucht, andere „mitzunehmen“, sollte man ihnen zunächst zuhören. Erfolgversprechender ist eine Bottom-up-Kommunikation, die bei den konkreten Fragen der Menschen ansetzt: „Was ist dein Problem? Wenn wir eine Lösung hätten: machst Du mit?“
Hilfreich ist dabei die Anwendung der Theorie der Professionalität auf die Kommunikation:
- mit eigener Haltung der Offenheit und Wertschätzung Vertrauen schaffen,
- durch Wissen Orientierung und Verstehen ermöglichen,
- mit Kooperation den Wandel in gemeinsames Handeln übersetzen.
So wird aus der Rede vom „Mitgenommen-Werden“ ein Ansatz echter Beteiligung – ein Prozess, bei dem die Wärmewende nicht für, sondern mit den Menschen im ländlichen Raum gestaltet wird.
Von der ‚Planungsphase Null‘ zu konkreten Projekten
Für eine direkte Projektumsetzung ist die KWP zunächst die falsche Skalierung. Der nächste Schritt zu einer Umsetzung wird immer diese Flughöhe verlassen und zum Quartiersmaßstab gelangen müssen, der die erforderliche Planungstiefe bietet. Siehe Beitrag: ‚Im Quartier sehen wir uns wieder‘.
Die zentrale Frage bleibt: Wie gelingt die Übersetzung von Plänen in Projekte? Unsere Antwort: Durch Verlassen der KWP-Flughöhe, durch systemisch denkende Stakeholder und durch Vernetzung.
Es bietet sich an, für Umsetzungsprojekte beispiels-weise innerhalb einer Verwaltungsgemeinschaft diejenigen Ortschaften zu identifizieren, die auf Umsetzung drängen und die Akteure haben, die sich dafür auf den Weg machen und Prozesse initiieren wollen. In Vernetzung mit gleichgesinnten Gemeinden aus der Nachbarschaft oder Region entsteht ein schlagkräftiges Netzwerk. Besonders wertvoll ist das Lernen im Verbund. Dörfer und Kleinstädte mit ähnlichen Strukturen können ihre Erfahrungen austauschen: Was in einer Kommune funktioniert, lässt sich in einer anderen schneller skalieren. Auf diese Weise entstehen Netzwerke des Vertrauens und der Praxis, die die Transformation im ländlichen Raum beschleunigen.
Von KWP zu KEEN
Mit dem Aufbau der Kommunalen EnergieEffizienz-Netzwerke – kurz KEEN-Verbund Thüringen – schaffen wir eine Plattform, die die KWP und andere Planungen in eine umfassendere energetisch-ökologische Transformation einbettet.
Damit wird eine Wärmeplanung nicht „1:1“ umgesetzt sondern macht sie zu einem Baustein in einem größeren, gesellschaftlich bedeutsameren Bild. KEEN übersetzt diese Dorfebene in einen systematischen Prozess: Zunächst werden Daten und Potenziale erfasst – vom Energie-Atlas über die CO₂-Bilanz bis hin zu Wasser- und Stoffströmen. Daraus entstehen Handlungsfelder, die jede Gemeinde nach ihren eigenen Stärken und Möglichkeiten priorisiert. Anschließend werden Projekte identifiziert, Finanzierungspfade entwickelt und Synergien zwischen den beteiligten Orten genutzt. Während eine Gemeinde zum Beispiel Abwärme aus Gewerbe in die Wärmeversorgung einbringt, stellt eine andere Flächen für PV-Cluster bereit und eine dritte koordiniert die Sanierung öffentlicher Gebäude. Auf diese Weise entsteht ein Geflecht gemeinsamer Transformation, das die Kraft des Einzelorts übersteigt.
Ein besonderer Mehrwert des KEEN-Verbunds liegt im Erfahrungsaustausch. Jede Gemeinde muss ähnliche Fragen beantworten: Wie schaffen wir Akzeptanz? Wie gelingt die Organisation von Betreiberstrukturen? Welche Förderprogramme passen zu unserem Vorhaben? Im Netzwerk werden diese Fragen gemeinsam verhandelt, Standards entwickelt und Lösungen geteilt. Was in einer Kommune erfolgreich ist, kann in der nächsten schneller umgesetzt werden. Hinzu kommt die politische Dimension: Der Verbund gibt den beteiligten Kommunen eine stärkere Stimme - sowohl gegenüber Land und Bund als auch in der öffentlichen Wahrnehmung.
So entsteht ein Kreislauf, der aus Skepsis Zuversicht macht: Die Wärmeplanung liefert die Fakten, KEEN bündelt sie zu einer Transformationsstrategie, und in den Dörfern entstehen sichtbare, abgestimmte Projekte. Jeder Schritt zahlt auf Lebensqualität, Resilienz und Klimaschutz ein – und ermutigt andere Orte, denselben Weg zu gehen.
Was die Kommunen erwarten dürfen
Wir binden die KWP als Baustein in eine breitere energetisch-ökologische Transformation ein. In der Skalierung Quartier = Dorf können in aktiven Kommunen untereinander abgestimmte Transformations-projekte initiiert und umgesetzt werden. Unser Mittel dafür ist die Etablierung von Netzwerken im KEEN-Verbund.
Kommunen dürfen von diesen abgeleiteten Erweiterungen einen klaren Mehrwert erwarten. Im Vordergrund steht die Sicherheit und Bezahlbarkeit der Energieversorgung: Diversifizierte, auf erneu-erbaren Quellen basierende Wärme- und Strompfade verringern die Abhängigkeit von volatilen Märkten. Zugleich sorgt die Planung für eine nachweisbare Klimawirkung, da die Reduktion von Treibhausgasemissionen projekt- und pfadbezogen dokumentiert und überprüfbar wird. Darüber hinaus stärken die Maßnahmen die Resilienz und Lebensqualität vor Ort - durch Hitzeschutz, Regenwasserrückhalt, die Aufwertung von Grünräumen und die Pflege des Ortsbildes, die im Alltag unmittelbar spürbar sind. Ein weiterer Effekt liegt in der regionalen Wertschöpfung: Aufträge bleiben in der Region, Energieerlöse verbleiben vor Ort, und Handwerk sowie Mittelstand werden gezielt gestärkt. Nicht zuletzt trägt die Wärmeplanung zu einer hohen Akzeptanz durch Teilhabe bei, weil die Projekte gemeinsam mit den Menschen vor Ort entwickelt werden – und nicht über ihre Köpfe hinweg.
Fazit
Die Kommunale Wärmeplanung ist im ländlichen Raum notwendig, aber nicht hinreichend. Ihren vollen Nutzen entfaltet sie erst im Verbund – wenn Dörfer und Kleinstädte die KWP-Erkenntnisse in abgestimmte umfassende Transformationsprojekte übersetzen. Genau dafür steht der KEEN-Verbund der EnergieWerkStadt: KWP als Baustein, Dorf als Skalierung, Verbund als Umsetzungssystem. Dieser Prozess hat die Chance, aus einer ‚Top-down‘-Anordnung (KWP) eine bürgernahe akzeptierte Bottom-up-Bewegung zu initiieren.
Die nächste Aufgabe entsteht bei der Koordination: wie kann eine systemische Transformation mit sektoralen Förderungen umgesetzt werden? Wir werden weiter von unseren Erfahrungen berichten.
Dr. Kersten Roselt
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